„Sprache ist wichtig – aber auch Wille und Motivation“

Die Handwerkskammer Leipzig ermöglicht jungen Zugewanderten im Rahmen des BOF-Programm Einblicke in Ausbildungsberufe des Handwerks. Projektleiter Ahmed Barhdadi spricht über die bisherigen Erfahrungen.

Ahmed Barhdadi von der Handwerkskammer Leipzig im Gespräch mit einem Teilnehmer.
© BOF / BMBF Fotograf: Fulvio Zanettini

Herr Barhdadi, wie gewinnen Sie BOF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer?

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Wir arbeiten an allen drei Standorten (Stadt Leipzig, Landkreis Nordsachsen und Leipziger Landkreis) mit den zwei wichtigsten Akteuren zusammen: dem Jobcenter und der Bundesagentur für Arbeit. Diese beiden Institutionen sind für uns die zentralen Ansprechpartner, um junge Geflüchtete für BOF zu gewinnen.

Es gibt Informationsveranstaltungen, entweder im Jobcenter, bei der Arbeitsagentur oder bei uns in der Handwerkskammer, in denen wir das Projekt vorstellen. Dadurch erreichen wir interessierte junge Menschen, welche als potentielle Teilnehmer in Frage kommen.

Bei den letzten beiden BOF-Maßnahmen hat die Ansprache über Info-Veranstaltungen großen Erfolg gezeigt. Es gab Termine, zu denen potenzielle Teilnehmer eingeladen wurden. Wir haben dann mit ihnen gesprochen und sie für BOF gewonnen. Wenn jemand kein Interesse zeigt, versuchen wir herauszufinden, welche anderen Pläne er hat und leiten ihn gegebenenfalls an andere Einrichtungen weiter.

Welche weiteren Möglichkeiten nutzen Sie?

Die zweite Möglichkeit besteht in der Netzwerkarbeit. Es gibt außer dem Jobcenter und der Arbeitsagentur weitere Akteure, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten und eine wichtige Rolle bei unserer Arbeit spielen. Dies sind zum Beispiel Arbeit und Leben e.V., die Projekte der Arbeitsmarktmentoren Sachsen und KAUSA.

Es gibt in Leipzig eine Arbeitsgruppe, die sich einmal im Monat trifft. Dieser Zusammenschluss besteht aus Bildungsträgern, Sprachschulen, Sozialpädagogen etc. Hier findet ein regelmäßiger Austausch statt. Zur Erläuterung und Erörterung bestimmter Themen und Fragen werden die Ausländerbehörde oder Vertreterinnen der Stadt Leipzig eingeladen.

Darüber hinaus bieten wir jeden Donnerstag eine Sprechstunde an. Dieser Termin hat sich unter den Geflüchteten herumgesprochen und wird gut angenommen. Hier können die jungen Leute ohne Anmeldung zu uns kommen und Fragen stellen bzw. eine Beratung erhalten. Wir planen zusätzliche Sprechstundenangebote im Landkreis Nordsachsen und im Landkreis Leipzig.

Seit einigen Wochen und nach erfolgreicher Durchführung der BOF-Maßnahmen im Jahr 2017 haben wir festgestellt, dass viele ehemalige BOF-Teilnehmer unsere Kontaktdaten weitergeben oder die BOF-Maßnahme bei ihren Bekannten, etwa auf sozialen Medien, weiterempfehlen. Die Mundpropaganda bei den Geflüchteten ist sehr stark und sehr hilfreich, um schnell passende und für die Zielgruppe interessante Informationen zu vermitteln.

Sie sprechen viele Partner an. Kommen denn auch andere auf Sie zu?

Ja, ein weiterer Weg führt über die Betriebe. Diese rufen an und berichten, dass bei ihnen jemand ein Praktikum absolviert hat und nun eine Ausbildung beginnen möchte. Die Betriebe fragen nach konkreten Unterstützungsangeboten bis zum Ausbildungsstart am 1. August eines Jahres. Gemeinsam mit dem Betrieb und dem jungen Menschen wird dann entschieden, ob hier beispielsweise die BOF-Maßnahme oder ein Deutschkurs sinnvoll ist.

Stellt sich der Erfolg Ihrer Akquisearbeit immer sofort ein?

Nicht immer. Die Teilnehmerakquise ist mitunter ein langfristiger Prozess. Manche kommen ein Jahr nach einem Gespräch auf mich zu und bitten mich um Unterstützung.

Welches sind die Zielgruppen der BOF-Maßnahme?

Normalerweise sollten die Teilnehmenden im Anschluss an die Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit „Perspektive für junge Flüchtlinge im Handwerk“ (PerjuF-H) kommen. Daneben gibt es weitere Wege. Es gibt Geflüchtete, die direkt aus Integrationskursen oder den Förderklassen der Berufsschulen kommen. Diese Leute haben unterschiedliche Voraussetzungen. Für uns ist es eine Herausforderung, jedem Einzelnen mit seinem unterschiedlichen Bildungsweg, seinen Erfahrungen und dem individuellen Interesse gerecht zu werden.

Wo liegen die Stärken und Schwächen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Auch jene, die vielleicht nicht so stark wirken, können positiv überraschen und haben eine Chance verdient. Wir haben oft bestimmte Vorstellungen von den handwerklichen Fähigkeiten der Teilnehmer im Kopf und sind nach ein paar Wochen überrascht, dass es in Wirklichkeit ganz anders ist – meistens positiv.

Die Teilnehmenden haben häufig Lücken im schulischen Wissen, darüber hinaus mangelt es vielen an Lernmethoden und Lerntechniken. Sie haben nicht gelernt zu lernen. Aber ihre Stärke liegt überraschenderweise oft im Umgang mit dem Material und anderen Arbeitsweisen die aber zum gleichen Ergebnis führen.

Die BOF-Teilnehmer sind es aus ihren Heimatländern gewohnt, direkt in die Praxis einzusteigen und sich erst dann mit Theorie auseinanderzusetzen. Diese Herangehensweise sollte man berücksichtigen, etwa indem der Unterricht morgens mit einer praktischen Aufgabe beginnt.

Auf der anderen Seite vermisse ich die Vermittlung von Lerntechniken und Methoden zum Selbstmanagement in Integrationskursen. Durch die neue BOF-Förderrichtlinie haben wir mehr Zeit Lerntechniken und Fachtheorie im Rahmen der BOF-Maßnahme zu vermitteln.

Nach dem Ende der BOF-Maßnahme gibt es über jeden einzelnen Teilnehmer einen Abschlussbericht, in dem vor allem die Stärken genannt werden. Der Abschlussbericht ist für die Bewerbungsunterlagen gedacht und beinhaltet eine Beurteilung des Sozialverhaltens, der Werkstattphase, des Betriebspraktikums und unsere Empfehlung.

Können Sie allen Interessenten an BOF ein Angebot machen?

Mein Anspruch ist, die Leute nicht abzuweisen, wenn es gerade keinen Platz gibt, sondern in Kontakt zu bleiben und eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu schaffen. Dies kann auch über die Sprache erfolgen, über Werte oder Erlebnisse. Ich möchte die jungen Menschen weniger überreden, sondern sie intrinsisch motiviert gewinnen. Ich baue zum Teilnehmer ein Vertrauensverhältnis auf. Der Teilnehmer gewinnt Selbstvertrauen und wir können das oft übersehene Potenzial heben.

Haben Sie eine besondere Herangehensweise?

Mir ist es wichtig, die Leute auf der persönlich-emotionalen Schiene zu gewinnen. Auch wenn ich ihnen für den Moment nicht helfen kann, so vielleicht morgen oder übermorgen. Die Leute sprechen mich an, wenn sie mich auf der Straße treffen. Sie wissen, dass es jemanden gibt, der sie versteht und sie begleitet. Gleichzeitig fordere ich Disziplin, Willen und Offenheit. Wenn das nicht vorhanden ist, ist Schluss.

Manche suchen nur nach Ausreden. Die schicke ich weg. Die Tür bleibt aber immer offen. Einige kommen dann auf indirektem Weg wieder, über die Arbeitsagentur. Die berate ich dann ein zweites Mal.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Integration in den Arbeitsmarkt ist die Sprache.

Sprache ist für Menschen das, was das Benzin für ein Auto ist. Ohne Benzin läuft das Auto nicht. Auf der anderen Seite nützt ein vollgetanktes Auto nichts, wenn die Bremsen oder die Scheinwerfer kaputt sind. Dann ist das Auto nicht fahrbereit. Sprache ist also notwendig, aber wirkt mit anderen Dingen zusammen.

Ich habe Schwierigkeiten mit manchen geflüchteten Jugendlichen, die zwar sehr gut Deutsch sprechen, aber eine negative Grundhaltung haben. Lieber habe ich jemanden, der nur schlecht Deutsch spricht, bei dem aber Wille und Motivation erkennbar sind.

Viele Akteure, die zum Thema Übergang Schule-Beruf hier in der Region arbeiten, haben wenig Erfahrung mit Migranten. Dennoch war klar, dass die Geflüchteten schnellstmöglich integriert werden sollen. Ein Kriterium für eine gelungene Integration ist die Sprache, aber es ist nicht die einzige Bedingung.

Arbeit ist ebenfalls ganz wichtig für nachhaltige Integration, aber es benötigt auch eine offene Gesellschaft. Das kann man auch nicht erzwingen. Wenn die Kollegen sagen, wir sind nur Arbeitskollegen und wollen außerhalb der Arbeit nichts mit den Flüchtlingen zu tun haben, dann ist das schade.

Wie arbeiten Sie an der Haltung? Können Sie Einstellungen ändern?

Wir arbeiten innerhalb der Maßnahme an interkultureller Kompetenz und Kommunikation. Nicht nur für Mitarbeiter und Betriebe, sondern auch für Teilnehmer. Nehmen wir das Beispiel Teamarbeit. In arabischen Ländern ist das anders definiert und wird anders gelebt. Die Führungsrolle fällt einem Menschen im arabischen Raum aufgrund seines Status zu. In Deutschland ist das stärker von den Kompetenzen des Einzelnen abhängig. Auch sind hier die Zuständigkeiten für einzelne Bereiche klar abgegrenzt. In arabischen Ländern hingegen ist eine Einmischung der Kollegen durchaus normal.

Wir diskutieren solche Punkte regelmäßig innerhalb der Kursklasse. Schauen wir uns als Beispiel die Arbeit auf der Baustelle an. Da gibt es gewisse Verhaltensweisen und Rituale wie ein gemeinsames Frühstück, das Zeitunglesen oder das Feierabendbier. Wenn jemand das aus seinem Kulturkreis nicht kennt, weiß er nicht, wie er damit umgehen soll. Wenn sich dann jemand zurückzieht, entstehen Konflikte. Die anderen denken, er will mit ihnen nichts zu tun haben. An solchen Konfliktpotenzialen arbeiten wir.

Wir üben auch Vorstellungsgespräche, in denen ich den Arbeitgeber spiele. So sind die Teilnehmer auf verschiedene Situationen vorbereitet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die nonverbale Kommunikation. Beispielsweise bedeuten verschränkte Arme im arabischen Raum Zufriedenheit, hier bei uns aber ein Abblocken oder es kann einen Ausdruck von Verletzt-Sein beinhalten. Es ist wichtig, dass nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden interkulturelle Kompetenz und Kommunikation lernen, sondern auch die Geflüchteten selbst sowie deren Ausbilderinnen und Ausbilder.

Was ist entscheidend für den Erfolg der Maßnahme?

Es muss alles als Gesamtpaket zusammenpassen. Es hängt nicht an einer Person oder meinen Aufgaben. Mehrere Stellen bzw. Schnittstellen müssen zusammenarbeiten, um das Ziel Praktikum- bzw. Ausbildungsplatz zu erreichen. Ressourcen und Know-how eines großen Netzwerks müssen zusammenkommen.

Die BOF-Maßnahme benötigt Flexibilität und Anpassung. Das ist für uns als Handwerkskammer eine Herausforderung, auch finanziell. Drei kleinere Gruppen (Friseur, Kfz, Bau) erfordern drei Dozenten und drei parallellaufende Werkstätten. Dazu kommen Sozialpädagogen, meine Aufgaben und eigentlich auch das Kümmern um Teilnehmer aus abgeschlossenen Maßnahmen. Wir haben den Anspruch, nachhaltig erfolgreich zu sein.

Hintergrund

Ahmed Barhdadi ist bei der Handwerkskammer Leipzig Ansprechpartner für interkulturelle Beratung und zuständig für das Programm „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ – kurz BOF. Das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ermöglicht jungen Geflüchteten Einblicke in Ausbildungsberufe des Handwerks.

Während der Maßnahme lernen sie Fachsprache, erhalten erste Fachkenntnisse für den angestrebten Ausbildungsberuf und werden dabei von einer Projektbegleiterin oder einem -begleiter individuell unterstützt.

Bislang (Stand März 2018) hat die Handwerkskammer Leipzig vier BOF-Maßnahmen erfolgreich durchgeführt. Aktuell findet ein fünfter Durchlauf statt. Von den bisher insgesamt 51 Teilnehmerinnen und Teilnehmern absolvieren derzeit 22 junge Menschen eine Ausbildung oder Einstiegsqualifizierung (EQ).