Geflüchtete aus der Ukraine in Ausbildung integrieren - Erfahrungen aus Förderprogrammen

Um Geflüchtete und Zugewanderte in eine berufliche Ausbildung zu integrieren, sind drei Faktoren maßgeblich: Aufsuchende Beratung, Kooperation und Unterstützung bis zum Abschluss. Das zeigen die Erfahrungen aus Förderprogrammen des Bundes. Daraus leiten sich Empfehlungen ab, wie sich auch die Integration Geflüchteter aus der Ukraine fördern lässt.

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Was hat die Berufsbildungspraxis von den vielfältigen Programmen zur Integration in Ausbildung von Geflüchteten gelernt? Und wie profitieren die Menschen aus der Ukraine sowie zukünftige Neuzugewanderte von diesen Erfahrungen? Zu diesen Fragen ist ein Beitrag von Gerburg Benneker in einem Diskussionspapier des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) mit dem Titel „Integration Geflüchteter in Ausbildung und Beruf“ erschienen. Die Erkenntnisse basieren unter anderem auf Erfahrungen der KAUSA-Servicestellen, die seit 2016 auch junge Menschen mit Fluchthintergrund beraten und begleitet haben, sowie aus dem im selben Jahr gestarteten Programm „Berufliche Orientierung für Zugewanderte (BOF)“.

Die KAUSA-Servicestellen unterstützen Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund, junge Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund sowie ihre Eltern bei allen Fragen rund um das Thema Ausbildung. Das BOF-Programm begleitet nicht mehr schulpflichtige Geflüchtete und Zugewanderte mit besonderem Förderbedarf auf ihrem Weg in eine Ausbildung. Beide Programme werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Sie stehen beispielhaft für die zahlreichen, seit 2015 gestarteten Angebote und Maßnahmen zur Integration von Geflüchteten in Beruflicher Orientierung und Berufsausbildung.

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick

Zentral: Aufsuchende Beratung und Chancen einer Ausbildung diversitätssensibel vermitteln

Programme wie KAUSA und BOF erfüllen mit dieser Aufgabe eine Lücke, die die Regelinstitutionen aufgrund ihrer Strukturen und überwiegend praktizierten „Komm-Struktur“ häufig nicht leisten können. Es gilt vor allem, Geflüchtete und Zugewanderte aktiv an den unterschiedlichsten Orten, wie zum Beispiel Gemeinschaftsunterkünften und Migranten- und Flüchtlingsorganisationen, mit migrationssensiblen Formaten anzusprechen und sie über die Möglichkeiten einer Ausbildung und den damit verbundenen Arbeits- und Zukunftschancen zu informieren. Denn „der Wunsch nach sofortiger Arbeit ist groß“, so ein BOF-Projektleiter. Entsprechend gilt es aufzuzeigen, dass die Ausbildung der richtige Schritt ist, um später als qualifizierte Fachkraft arbeiten zu können.

Wichtig für den Erfolg: Vernetzung und Kooperation

Die hohe Anzahl an initiierten Programmen und Maßnahmen seit 2015 wird häufig als unüberschaubar beschrieben. Mangelnde Abstimmung einhergehend mit einer fehlenden gemeinsamen Strategie der regionalen Akteurinnen und Akteure zur Förderung der Integration in Ausbildung wird von den befragten KAUSA-Servicestellen im Rahmen ihrer Evaluation als größtes regionales Defizit formuliert. Im Verlauf des BOF-Programms zeigte sich u.a. die zentrale Bedeutung einer gelingenden Zusammenarbeit mit den regionalen Jobcentern, insbesondere weil viele Geflüchtete dort Kundin bzw. Kunde sind.

Kaum praktiziert, aber wichtig: Kontinuität und Unterstützung bis zum Abschluss

BOF-Träger weisen darauf hin, dass eine Anschlussbetreuung insbesondere auch während der Ausbildung unbedingt erforderlich ist, um höhere Abbruchquoten zu vermeiden. Nur wenige Programme konnten eine fortlaufende Unterstützung anbieten. Die Instrumente der Bundesagentur für Arbeit wie die Assistierte Ausbildung werden nur bedingt angenommen, so die Erfahrungen. Der hohe Unterstützungsbedarf bestätigt sich im Mentorenprogramm VerA zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen, bei dem über 80 Prozent der von ehrenamtlichen Seniorexpertinnen und -experten begleiteten Auszubildenden einen Migrationshintergrund haben.

Erfahrungen sind aktueller denn je

Die Erfahrungen sind mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aktueller denn je: Laut einer Umfrage rechnen die BOF-Träger und KAUSA-Landesstellen mit einem erhöhten Informations- und Unterstützungsbedarf von Ukrainerinnen und Ukrainern zum Einstieg in das duale Ausbildungssystem – insbesondere ab Herbst 2023, wenn viele ein bestimmtes Sprachniveau erreicht haben. Die Annahme, dass eine betriebliche oder schulische Ausbildung aufgrund eines hohen Anteils an Akademikerinnen und Akademikern unter den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern nicht von Interesse sein sollte, hat sich bereits in der Vergangenheit nicht bestätigt. So beschreibt Matthias Knuth (2020), dass bei Hochqualifizierten aus Osteuropa und den GUS-Staaten mit akademischem Abschluss eher die Gefahr bestand, arbeitslos zu werden, als bei denjenigen mit mittlerem oder ohne beruflichen Abschluss. Umso wichtiger ist es auch Akademikerinnen und Akademiker die Chancen einer Berufsausbildung und den damit verbundenen Karrieremöglichkeiten aufzuzeigen.

"Erfolgreiche Integration in Ausbildung von Geflüchteten und Zugewanderten benötigt abgestimmte, ganzheitliche und verlässliche Unterstützung"

Handlungsempfehlungen

Basierend auf Erfahrungen von KAUSA und BOF sowie Ergebnissen weiterer Studien und Evaluationen werden u. a. folgende Handlungsempfehlungen formuliert:

  • Persönliche und migrationssensible Beratung an einer fest eingerichteten Anlaufstelle, die gemeinsam von Verantwortlichen verschiedenster (Regel-) Angebote, z. B. mit Beteiligung von Kammern, Schulen, Jobcentern, aber auch Migrantenorganisationen genutzt wird.
  • Beratung vor Ort: Gezielte und mit Netzwerkpartnern gemeinsam geplante und umgesetzte Beratung an Orten durchführen, in denen ukrainische und andere Neuzugewanderte anzutreffen sind, ggf. auch in Begleitung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern.
  • Social-Media-Strategie: Zur Erstberatung und Verbreitung von Informationen und Anlaufstellen sollten soziale Medienstrategien geplant und umgesetzt werden, da die sozialen Netzwerke eine bedeutende Informationsquelle für Geflüchtete darstellen.
  • Übersetzungen von Informationsmaterial und Webseiten zur Beruflichen Orientierung, Ausbildungsmöglichkeiten und entsprechenden Beratungsstellen in Ukrainisch, Russisch und anderen Herkunftssprachen von Neuzugewanderten. Lokale Unterstützungsangebote sollten gesammelt und in einer gemeinsamen Broschüre bzw. einer kommunal verantworteten Webseite erfasst werden.
  • Zur Erreichung der Zielgruppe sollte eine dauerhafte Einbindung von Migrantenorganisationen und ihrer Dachverbände in die strategische Planung und Umsetzung der Aktivitäten und Angebote erfolgen.
  • Einbindung der Wirtschaft und ihrer zuständigen Stellen bei der Planung und Umsetzung von Berufsorientierungs- und -vorbereitungsmaßnahmen, um diese dem lokalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt anzupassen.
  • Institutionalisierter Austausch auf Bundesebene über Erfahrungen aller laufenden und geplanten Bundesprogramme zum Themenfeld auf Referatsebene, wie dies bereits zum Teil durch das BMBF koordiniert wird.
  • Gemeinsame Planung und abgestimmte Umsetzung des Unterstützungsangebots der Regelinstitutionen und Programme auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, damit diese sich gegenseitig ergänzen und aufeinander aufbauen, um eine verlässliche, kontinuierliche und strukturell angelegte Unterstützung für die Zielgruppe vom Übergang in Ausbildung bis zum Ausbildungsabschluss sicherstellen.

Nach Auswertungen des Mikrozensus hat mehr als ein Drittel (35 Prozent) junger Erwachsener mit eigener Migrationserfahrung keinen Berufsabschluss, so eine Analyse von Kalinowski, nachzulesen im Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022. Die Integration von Geflüchteten und Zugewanderten in Berufsorientierung und Ausbildung sollte in einem Einwanderungsland wie Deutschland als Daueraufgabe verstanden werden, um eine gleichberechtigte Teilhabe aller an beruflicher Ausbildung gewährleisten zu können.

Zum Hintergrund der Studie

Auf Anfrage der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz für eine Stellungnahme zu Ukraine und berufliche Bildung aus Forschungsperspektive hat das BIBB das Discussion Paper Integration Geflüchteter in Ausbildung und Beruf: Chancen für Geflüchtete und Herausforderungen für das Bildungssystem herausgegeben. Dieses beinhaltet neun Beiträge von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachabteilungen des Instituts einschließlich eines Fazits und einer Schlussfolgerung von Hubert Ertl, Mona Granato, Robert Helmrich und Elisabeth M. Krekel als Herausgeber der Publikation. Kurzbeschreibungen aller Beiträge sind auf der Webseite des BIBB zu finden.

Für Multiplikatoren, die Geflüchtete aus der Ukraine auf ihrem Weg in Ausbildung und Arbeit unterstützen, ist besonders der Bericht über das Bildungssystem und die Qualifikationsstrukturen und über die aktuellen Auswirkungen des Angriffskriegs auf die Situation der Berufsbildung in der Ukraine von Christiane Eberhardt und Snizhana Leu-Severynenko von Interesse.

Weitere Informationen

BIBB-Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022

KAUSA-Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration

BIBB Discussion Paper "Integration Geflüchteter in Ausbildung und Beruf: Chancen für Geflüchtete und Herausforderungen für das Bildungssystem".Bonn 2022

Matthias Knuth: Was uns zusammenhält. Wie erreichen wir mehr Teilhabechencen bei Ausbildung und Beschäftigung, Bonn 2020