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Berufsfelder erkunden mit dem beruflichen Anwendungsfall

Die Förderrichtlinie 2022 schafft einen neuen didaktischen Rahmen für die Erkundung der Berufsfelder: den beruflichen Anwendungsfall. In ihm bauen Arbeitsaufträge und Inputs so aufeinander auf, dass sich ein stimmiger Gesamtkontext ergibt.

In den praxisorientierten BO-Tagen erkunden die Schülerinnen und Schüler verschiedene Berufsfelder. Die Einblicke und praktischen Erfahrungen tragen dazu bei, dass sie Berufswahlkompetenz erwerben, um eine bewusste Berufswahlentscheidung treffen zu können. Die Jugendlichen entwickeln eine erste Idee davon, was es bedeutet, in dem einen oder anderen Berufsfeld zu arbeiten. Sie erfahren, welche typischen Tätigkeiten und Kompetenzen einzelne Berufsfelder beinhalten und welche beruflichen und akademischen Ausbildungswege es gibt. Auch lernen sie die Berufsfelder frei von Geschlechterklischees kennen und erweitern damit ihr persönliches Spektrum an möglichen Berufen. Insgesamt gewinnen sie einen Einblick in den aktuellen Stand der Ausbildungs- und Arbeitswelt, der so realistisch wie möglich ist.  

Am wichtigsten ist das praktische Ausprobieren. Es regt die Jugendlichen zum Nachdenken darüber an, welche beruflichen Tätigkeiten ihren persönlichen Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Zum Abschluss der praxisorientierten BO-Tage stellen sie erste Entwicklungsziele auf und leiten daraus die nächsten Schritte für ihre weitere persönliche Berufliche Orientierung ab.

Erkundung eines Berufsfelds: Einstieg, Hauptteil und Abschluss

Während der BO-Tage erkunden die Schülerinnen und Schüler mehrere Berufsfelder. Die Erkundung eines jeden Berufsfelds folgt einem dreiteiligen Gesamtablauf:

  • Zum Einstieg gibt es , der der Gruppe hilft, anzukommen und sich auf den Tag einzustellen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten einen Überblick über das Berufsfeld, über allgemeine Regeln für den Tag und zum Arbeitsschutz.
  • Der Hauptteil ist das praktische Erleben eines beruflichen Anwendungsfalls – ein Szenario, das reale berufsfeldtypische Abläufe abbildet. Der berufliche Anwendungsfall ist ein zentrales Element, das mit der Förderrichtlinie des Berufsorientierungsprogramms 2022 neu eingeführt wurde.
  • Zum Abschluss wird das Erlebte in einen Kontext gestellt, reflektiert und dokumentiert.

Bo-Tage: Jugendliche und Ausbilderin in Küche
© BOP/BMBF Annegret HULTSCH Photography

Der berufliche Anwendungsfall

Die Förderrichtlinie 2022 schafft einen neuen didaktischen Rahmen für die Erkundung der Berufsfelder: den beruflichen Anwendungsfall. Dies ist ein Szenario, das reale berufsfeldtypische Abläufe abbildet. Einzelne Arbeitsaufträge stehen nicht losgelöst nebeneinander, sondern bauen inhaltlich so aufeinander auf, dass sich ein stimmiger Kontext (eine Art „Story“) für die Schülerinnen und Schüler ergibt. Durch diese sinnhafte Einbettung können die Jugendlichen einen intensiven Bezug zu den vielfältigen beruflichen Möglichkeiten innerhalb eines Berufsfelds herstellen. 

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Beim Vorgänger der BO-Tage aus den vergangenen Förderrichtlinien, den Werkstatttagen, ging es häufig darum, ein Werkstück zu erstellen oder einzelne Aufgaben rund um ein Berufsfeld zu lösen. Fortan ist der berufliche Anwendungsfall Dreh- und Angelpunkt für die Erkundung eines Berufsfelds.

Dies sind die drei zentralen Aspekte für die konzeptionelle Ausgestaltung des beruflichen Anwendungsfalls:

  • Es wird die Bandbreite eines Berufsfelds dargestellt – nicht ein einzelner Beruf.
  • Praktische Tätigkeiten und Inputs bauen im Wechsel aufeinander auf.
  • Die Komplexität der Aufgaben steigert sich im Verlauf der Erkundung eines Berufsfelds.

Zur Unterstützung bei der Konzeption und Strukturierung eines beruflichen Anwendungsfalls steht der folgende Leitfaden zum Download bereit:

Leitfaden: Konzeption eines beruflichen Anwendungsfalls

Schwerpunkte und Schnittstellen

Manche Berufsfelder umfassen mehrere Branchen bzw. Schwerpunkte, wie z.B. das Berufsfeld „Holz, Farbe und Raumgestaltung, Innenausbau“. In diesem Fall kann sich der Träger bei der Konzeption für einen dieser Schwerpunkte entscheiden z.B. für „Holz“. In dem Fall entsprechen die praktischen und handlungsorientierten Aufgaben diesem Schwerpunkt.

Trotz dieser Schwerpunktsetzung sollen auch die weiteren Bestandteile des Berufsfelds (hier: Farbe und Raumgestaltung, Innenausbau) im beruflichen Anwendungsfall aufgegriffen werden. Dabei sollen Schnittstellen der verschiedenen Schwerpunkte im Berufsfeld dargestellt werden – idealerweise handlungsorientiert. Sie können aber auch durch einen Input ergänzt werden, sofern sie sich so schlüssiger in den beruflichen Anwendungsfall integrieren lassen.

Neben beruflichen Anwendungsfällen, die sich auf ein Berufsfeld beziehen, gibt es auch berufliche Anwendungsfälle für berufsfeldübergreifende Projekte. Zu diesem Thema werden in Kürze auf dieser Website weitere Informationen veröffentlicht.

Sandwichprinzip

Der ideale Aufbau eines beruflichen Anwendungsfalls folgt dem Sandwichprinzip, einer Ordnungsstruktur für eine sinnvolle Kombination von Lernmethoden und Sozialformen: Phasen von Einzelarbeit wechseln sich dabei mit kooperativen Lernphasen in der Gruppe oder in Tandems und mit Kurzinputs der Ausbilderinnen und Ausbilder ab. Dabei sollen die Lernphasen, in denen die Schülerinnen und Schüler selbst aktiv sind, zeitlich die der Inputs übersteigen.

Konzeption der Arbeitsaufträge

Die Arbeitsaufträge bilden berufsfeldtypische Tätigkeiten und Kompetenzen ab, sie sind praktisch und handlungsorientiert. Folgende didaktische Faustregeln helfen bei der Gestaltung der Arbeitsaufträge:

- vom Leichten zum Schweren
- vom Einfachen zum Zusammengesetzten
- vom Nahen zum Entfernten
- vom Allgemeinen zum Speziellen
- vom Konkreten zum Abstrakten

Ein einzelner Arbeitsauftrag kann sich in mehrere Arbeitsschritte untergliedern. Eine Hilfe zur Strukturierung ist das Modell der vollständigen Handlung aus der Berufspädagogik mit seinen sechs Stufen:

Modell der vollständigen Handlung

  1. Informieren
  2. Planen
  3. Entscheiden
  4. Ausführen
  5. Kontrollieren
  6. Bewerten

Bei der Ausführung eines Arbeitsauftrags müssen die Jugendlichen nicht zwingend alle Arbeitsschritte eigenständig durchführen. Es kann durchaus sein, dass einzelne Arbeitsschritte (z.B. Informieren, Planen, Entscheiden und Bewerten) in einer Gruppenarbeit erarbeitet oder vom Ausbilder vorgegeben werden und die Jugendlichen nur den Schritt „Ausführen“ praktisch erproben. In einem solchen Fall ist wieder die inhaltliche Einbettung im Sinne des beruflichen Anwendungsfalls wichtig: Für die Schülerinnen und Schüler muss ein Gesamtszenario entstehen, in das sich die Arbeitsaufträge stimmig einfügen.  

Komplexitätssteigerung

Die Arbeitsaufträge sollten sich nicht ausschließlich am ersten Ausbildungsjahr orientieren, sondern entsprechend der Fähigkeiten und Kenntnisse der Zielgruppe und im Laufe der Erkundung komplexer werden. Es gibt verschiedene konzeptionelle Ansätze der Komplexitätssteigerung:

Wird in einem Arbeitsauftrag – wie vorangehend geschildert – nur der Schritt „Ausführen“ umgesetzt, könnte in einer anschließenden Aufgabe eine Steigerung der Komplexität darin bestehen, dass die Schülerinnen und Schüler eigenständig weitere Schritte des Arbeitsauftrages übernehmen.  

Ein praktisches Beispiel dafür ist der Ablauf in einem Friseursalon. Der Kundenauftrag lautet:  „Makeover von Haut und Haaren“ – also eine professionelle Veränderung des äußeren Erscheinungsbilds. Unter Anleitung erproben die Jugendlichen zunächst den Arbeitsschritt des Waschens und Frisierens. In einer erneuten Durchführung des Arbeitsauftrags führen die Jugendlichen ein Kundengespräch und erfragen, welche Art von Makeover gewünscht ist.

Im Verlauf der Erkundung übernehmen die Schülerinnen und Schüler immer mehr Arbeitsschritte eigenständig. Die Komplexitätssteigerung ergibt sich somit aus verschiedenen Arbeitsschritten bzw. Lerninhalten. In einer Abschlussaufgabe können die Schritte schließlich zusammengeführt werden, sodass die Jugendlichen die Kundenbetreuung alleine übernehmen – von der Begrüßung über das Makeover bis hin zur Abrechnung und Verabschiedung.

Die Komplexität einer Aufgabe kann auch über den gezielten Einsatz verschiedener Arbeitsmittel, Werkzeuge oder Techniken gesteigert werden. Ein Beispiel dafür könnte wie folgt aussehen: In einem ersten Arbeitsschritt führen die Schülerinnen und Schüler in einer Werkstatt erst einfache Tätigkeiten aus, z.B. Sägen, Hobeln oder Schleifen. In weiteren Arbeitsschritten arbeiten sie mit handgeführten Maschinen wie z.B. der Stichsäge und als weitere Steigerung mit stationären Maschinen wie z.B. der Kreissäge oder sogar mit programmierbaren Maschinen wie der CNC-Fräse.

Grafik-Komplexitätssteigerung - BO-Tage
Beispiele für die Steigerung der Komplexität der Arbeitsaufträge

Konzeption der Inputs

Die Form des Inputs ist insbesondere für die Themen gedacht, die sich nicht unbedingt als praktische Aufgabe abbilden lassen, aber dennoch im Rahmen eines Anwendungsfalls oder innerhalb eines Arbeitsauftrags thematisiert werden sollen. Welche Funktion erfüllt der Input? Mögliche Funktionen eines Inputs können sein:   

  • vielfältige Möglichkeiten des Berufsfelds darstellen
  • Zusammenhänge in einem Berufsfeld verdeutlichen
  • Informationen zur Ausführung eines Arbeitsauftrags geben
  • weiterführende Informationen vermitteln, z.B. Nachhaltigkeit, Wandel der Arbeitswelt

Ursprung des Konzepts „beruflicher Anwendungsfall“

Das BOP hat den Grundgedanken des beruflichen Anwendungsfalls aus der dualen Ausbildung übernommen. Dort erwerben Auszubildende ihre berufliche Handlungskompetenz durch Handeln in und an berufstypischen Aufgaben. Das bedeutet: Die zu vermittelnden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten eines Ausbildungsberufs werden anhand von berufstypischen Arbeitsabläufen, Produktions- und Dienstleistungsprozessen im Kontext der jeweiligen Ausbildung erlernt – auf Grundlage der Ausbildungsordnung.

Die praxisorientierten BO-Tage greifen diesen Grundgedanken auf, begrenzen sich dabei aber auf ein gezielt komponiertes Szenario, bei dem es – im Unterschied zur Ausbildung - nicht um einen bestimmten Beruf geht, sondern um berufsfeldtypische Situationen, Arbeitsabläufe, Produktions- und Dienstleistungsprozesse.