Schweigende Jugendliche
Vor Ihnen sitzt schweigend ein Jugendlicher mit verschränkten Armen, den Blick nach unten gesenkt. Fragen beantwortet er nur mit einem knappen „Weiß nicht genau“. Folgende Hinweise zum Umgang mit Schweigen können Ihnen Handlungsmöglichkeiten eröffnen.
Viele von Ihnen kennen diese Situation: Sie sitzen einem Schüler oder einer Schülerin gegenüber, um über die vorangegangene Übung zu sprechen. Sie haben sich vorbereitet, die Dokumente zusammengesucht und sich Gedanken gemacht. Doch es gelingt Ihnen nicht, mit dem jungen Menschen ein richtiges Gespräch zu führen.
Mit Schweigen umgehen
Für das Schweigen kann es unterschiedliche Ursachen geben: Die Person ist um eine Antwort verlegen, weiß nicht mehr weiter, ist generell unsicher oder verweigert sich grundsätzlich. Ein erster Schritt könnte sein, sich in die Situation des Schülers oder der Schülerin hineinzuversetzen und Verständnis aufzubringen. Folgende Interpretationsmöglichkeiten helfen dabei einzuschätzen, warum ihr Gegenüber schweigt:
- Natürliches Schweigen sind „Du bist dran“- oder „Ich denke nach“-Pausen. Hier kann man sich entspannt zurücklehnen und warten, bis das Gegenüber den Kontakt wieder aufnimmt.
- Peinliches Schweigen entsteht, wenn der anderen Person etwas unangenehm ist. Das vermutete Gefühl anzusprechen, ist in der Regel hilfreich. Achten Sie dabei aber auf eine wertschätzende, vorurteilsfreie Formulierung, zum Beispiel: „Ich habe den Eindruck, dir ist die Situation gerade unangenehm. Was können wir machen, damit du dich besser fühlst?“ Vorsicht gilt in Gruppengesprächen, da hier das Risiko besteht, jemanden bloßzustellen.
- Hilfloses Schweigen entsteht, wenn eine Person keine Worte findet, z. B. für eine schwierige oder konflikthafte Situation, oder wenn es Widerstände im Gespräch gibt. Hier hilft die Bitte, sich mitzuteilen („Erzähl mir doch, was gerade in dir vorgeht“).
- Wenn Sie unsicher sind, weshalb eine Gesprächspause entstanden ist, können Sie nachhaken: „Es geht dir etwas durch den Kopf“ oder „Dich beschäftigt noch etwas“.
Tipps für den Umgang mit zurückhaltenden Jugendlichen
Viele Jugendliche empfinden es als unangenehm, mit einer fremden Person über persönliche Fragen zu sprechen. Sie wissen nicht genau, was sie erwartet, und fühlen sich unsicher. Eine offene und freundliche Atmosphäre kann dabei helfen, das Eis zu brechen. Machen Sie gleich zu Beginn deutlich, dass es im Gespräch in erster Linie um die Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse der Schülerin oder des Schülers aus der Potenzialanalyse und den Werkstatttagen geht. Überlegen Sie sich bereits vorher, welche Bemerkungen oder Fragen als „Ice Breaker“ dienen können.
Ideen für einen gelungenen Gesprächseinstieg:
- Begrüßen Sie die Schülerin oder den Schüler bereits an der Tür.
- Beginnen Sie das Gespräch mit einer lebensweltbezogenen Frage, z.B.: „Hast du das Handballspiel gestern gesehen?“
- Beginnen Sie das Gespräch mit einer Wunderfrage, z. B.: „Wenn du die Wahl hättest, mit welcher Eigenschaft oder Fähigkeit würdest du morgen gerne aufwachen?“
Sie können auch einen berufsbezogenen Einstieg wählen, zum Beispiel mit Hilfe von typischen Arbeitsmaterialien:
- Legen Sie verschiedene Werkzeuge aus der Berufsfelderkundung, wie z. B. Zangen, Hammer, oder Pinsel, auf einen Tisch und starten Sie mit der Frage: „Welche Erfahrung aus den Berufserkundungstagen verbindest du mit dem Werkzeug?“
- Bitten Sie die Schülerin oder den Schüler, sich für ein Werkzeug zu entscheiden und es mit auf den Gesprächstisch zu legen. Fragen Sie dann: „Was hat dich dazu bewegt, genau dieses Werkzeug auszuwählen?“
Tipps für den Umgang mit unwilligen Jugendlichen
Es kann auch vorkommen, dass ein Schüler oder eine Schülerin mit Ihnen gar nicht sprechen möchte. Widerstand kann sich in unterschiedlichen Formen äußern: als Trotz oder indem er oder sie sich unrealistischen Optionen (z. B. Hauptschüler mit Berufswunsch Astronaut) zuwendet, durch das „Unterlaufen“ des Gesprächs als passiver Widerstand oder als offener Widerstand bzw. offene Aggression.
Eine Möglichkeit, konstruktiv mit Widerstand umzugehen, besteht darin, das Verhalten positiv zu betrachten. Deuten Sie die Verweigerungshaltung zum Beispiel als das Bestmögliche, was die Schülerin oder der Schüler in der Situation einbringen kann. Möglicherweise hat sie oder er für den Widerstand gute Gründe. Vielleicht fühlt sich die Person krank oder empfindet das Gespräch als unangenehme Pflicht.
Das Risiko einer solchen Deutung besteht darin, dass man übersieht, dass die Gesprächssituation selbst auch Ursache für Widerstände sein kann. Möglicherweise liegt es am Gesprächsrahmen, an Ihnen oder an anderen Personen, die am Gespräch beteiligt sind. Widerstand sollten Sie also immer zum Anlass nehmen, das eigene Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls die Gesprächsrichtung zu ändern. Hier ein paar Tipps, wie Sie mit ablehnenden Jugendlichen umgehen können:
- Vermeiden Sie Gesprächsstörer wie Belehrungen, Ratschläge, Kritik oder Tadel.
- Bieten Sie Alternativen an, z. B. das Gespräch zu vertagen, das Auswertungsgespräch mit einer anderen Person zu führen, auf weitere anwesende Personen zu verzichten oder den Ort zu wechseln.
- Sprechen Sie den Widerstand an. Beispiele: „Mir scheint, du wärst am liebsten gar nicht hier.“ „Ich habe den Eindruck, dieses Gespräch kommt dir völlig nutzlos vor.“
- Beziehen Sie sich auf den gemeinsamen Kontext. Verdeutlichen Sie das Ziel und den Mehrwert des Gesprächs. Beispiel: „Ich bin heute hier, um mit dir über die Potenzialanalyse/Werkstatttage und das, was du in der Zeit erlebt hast, zu sprechen. Ich bin neugierig auf deine Eindrücke“.
- Akzeptieren Sie Widerstand als eine Form der derzeitigen Zusammenarbeit mit subjektiv berechtigten Gründen.
Quelle: Widulle 2012; vgl. Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Gestaltungshilfen